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EMBRACING BABEL – Ein Leitfaden zur Übersetzung im und für das Theater

Der Ringlokschuppen in Mülheim an der Ruhr hat sich der transkulturellen Öffnung der eigenen Theaterarbeit verschrieben. Ob bei Aufführungen vor einem mehrsprachigen Publikum (z.B. in Form von Übertiteln), der Begleitung von Produktionsprozessen international arbeitender Theatergruppen oder der Übertragung eines Dramentextes in eine andere Sprache – Übersetzung ist in nahezu allen Theaterbereichen ein zentraler Aspekt.

Mit meiner Kollegin Maria Stummer habe ich von April bis November 2021 für den Ringlokschuppen das Projekt Embracing Babel geleitet. Nachdem das freie Produktionshaus schon seit mehreren Jahren mit verschiedenen Übersetzungsformaten experimentiert hatte, war es das Ziel dieses Rechercheprojekts, die Erfahrungen mit dem Thema Translation im Theater  weiter zu vertiefen und in Zusammenarbeit mit verschiedenen Expert*innen zu begleiten. Die Rechercheergebnisse wurden in einer Broschüre festgehalten und reflektiert.

Projektablauf

Zunächst haben wir Überlegungen darüber angestellt, wie Übersetzung als integraler Bestandteil einer Kulturinstitution wie dem Ringlokschuppen gedacht und in dessen bisherige Arbeitspraxis eingebunden werden kann. Dabei interessierten uns nicht nur die technischen Aspekte, sondern auch inhaltliche Fragen: Ist nicht etwa das Aushandeln von Identitätskonstruktionen und Machtverhältnissen, wie es heutzutage im (Freien) Theater stattfindet, bereits eine Form des (kulturellen) Übersetzens? Aus diesen Überlegungen ergeben sich drei Ebenen, auf denen Translation im Theater stattfindet: sprachlich (auf der Wortebene), inhaltlich (als Thema) und konzeptuell (als Teil der Inszenierung).

Der Leitfaden liefert zudem eine Zusammenfassung über die Anforderungen, die das Thema Übersetzung an die verschiedenen Gewerke eines Theaterhauses stellt. So gliedert sich die Broschüre u.a. in die Bereiche Bühne, Technik, Dramaturgie und Kommunikation: Eine ganzheitliche Betrachtung von Übersetzung wird ermöglicht, wenn alle Abteilungen eines Hauses zusammenarbeiten.

Darüber hinaus haben wir im Rahmen von Embracing Babel Workshops für drei verschiedene Zielgruppen angeboten: Jugendliche mit Erfahrung im Bereich Kommunaldolmetschen, Übersetzer*innen der Silent University Ruhr sowie Theatermacher*innen.

Im Workshop für Jugendliche ging es darum, sie einerseits für die Vorgänge bei Dolmetschaufgaben – mit denen sie z.B. bei Behördengängen immer wieder konfrontiert werden – zu sensibilisieren, diese Tätigkeit andererseits aber auch kritisch zu hinterfragen. Die Konferenzdolmetscherin und Dozentin Anna Hermann arbeitete mit der Methode der „Dolmetschinszenierungen“, die an Augusto Boals Forumtheater erinnert. Diese Methode kommt bei Schulungen von nichtfachlichen Dolmetscher*innen zum Einsatz wurde von Hermann in Zusammenarbeit mit Şebnem Bahadır mitentwickelt.

Die Übersetzer*innen der Silent University haben sich in ihrem Workshop mit verschiedenen Aspekten der übersetzerischen Tätigkeit – Qualifikationen, berufspraktische Aspekte, Berufsethik und Übersetzen im künstlerischen Kontext – auseinandergesetzt. Der Künstler*innenworkshop diente der theoretischen Einführung in das Feld der Theaterübersetzung (Übertitlerin Yvonne Griesel, sprachspiel.org), der sich Werkstattgespräche anschlossen, in denen sich neun Teilnehmer*innen über ihre aktuellen und vergangenen Projekte mit Übersetzungsbezug austauschen konnten. Auch hier stand die Motivation im Vordergrund, das Verständnis von Übersetzung zu vertiefen und zu ergründen, welches Potential dieser Aspekt für die künstlerische Arbeit birgt.

Weitere Informationen zum Projekt sind auf der Seite des Ringlokschuppens verfügbar, die Broschüre steht HIER zum Download bereit.

Viel Spaß bei der Lektüre!

Bahadır, S. (2008). Das Theater des Dolmetschens: Beobachten, teilnehmen, proben, darstellen, verändern. curare Zeitschrift für Medizinethnologie, 31: No. 2-3 (Special Issue: Die fremden Sprachen, die fremden Kranken: Dolmetschen im medizinischen Kontext), (pp. 176–186).

Bondas, I. (2013). Theaterdolmetschen. Phänomen, Funktionen, Perspektiven. Frank & Timme GmbH.

Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (Ed.). (2021). BDÜ-Positionspapier zum Kinderdolmetschen.

Dätsch, C. (Hrsg.) (2018). Kulturelle Übersetzer: Kunst und Kulturmanagement im transkulturellen Kontext. Bielefeld: transcript.

Griesel, Y. (2007). Die Inszenierung als Translat: Möglichkeiten und Grenzen der Theaterübertitelung. Frank & Timme

Griesel, Y., Engel, T. (Hrsg.) (2020). ITI Jahrbuch 2019. (R)übersetzen. Internationales Theaterinstitut Zentrum Bundesrepublik Deutschland.

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